„Dem Schinken winken“

Roman Thum hat seine legendäre Fleischerei an den Wiener Stadtrand verlegt.
Schlechter für Kühlraum-Tetris und Romantik, besser für das Produkt.
Text: Anna Burghardt, Fotos: Carolina Frank, erschienen im Presse-Schaufenster am 14. September 2018

Doleschal-Anlage für Thum-Traditionschinken

THUM SCHINKEN ist ab sofort in der Triester Straße 201 zu finden (nähe der Badner-Bahn-Station Inzersdorf). Im Verkaufsraum kann man Gekauftes an einem großen Tisch gleich konsumieren, Steakkurse o.Ä. sollen folgen. Mo–Fr, 7–12 Uhr.

Weitere Infos zum Projekt:

Wenn Roman Thum den großzügigen begehbaren Tiefkühlraum betritt, ist man versucht, das Geschlechter­stereotyp von Frauen und dem Traum vom Ankleide­raum zu bemühen. „Ich hatte bisher nur Truhen, keinen begehbaren Tiefkühl­raum“, hat der Fleischhauer kurz vorher gesagt. Er führt das Wiener Traditions­unternehmen Thum Schinken mit seiner Frau Jara in fünfter Generation. Und hat vor vier Jahren eine Entscheidung getroffen, deren soeben erfolgte Umsetzung für seinen Vater „ein Horrorfilm“ sei: Roman Thum ist mit seinem Unternehmen vom für viele Wiener legendären Sitz in der Margaretenstraße an den Stadtrand gezogen, nach Inzersdorf. (Die Adresse Margaretenstraße hat es allerdings nicht schon ewig gegeben, wie viele glauben, sondern „erst“ seit 1984.)

Romantisieren ist in der Lebensmittel­produktion selten sinnvoll.

Ende des Kühlraum-Tetris. Die Räumlich­keiten in der Triester Straße sind ungleich größer. Die Zahl der Mitarbeiter in der Produktion (hauptsächlich Schinken) – drei plus Roman Thum selbst – ist gleich geblieben, was vorerst für viel Platz sorgt. Sehr viel Platz und sehr viel Licht. „Wir waren davor ja ein über die Jahrzehnte gewachsener Betrieb, die Arbeits­abläufe waren nicht so rund. Manche Kiste haben wir 25 Mal in die Hand genommen. Im Kühlraum haben wir Tetris gespielt. Meine Frau hat immer gerufen, ,nicht so hoch!‘, aber wenn es in der Ebene nicht mehr ging, musste man eben in die Höhe schlichten.“ Innerstädtisch zu produzieren ist für einen Betrieb, der jedes Jahr ein bisschen wächst, nicht einfach, „nicht nur in den Stoßzeiten, zu Ostern oder zu Weihnachten“ – Stichwort Anlieferung, Parkplätze. Jetzt, in dieser genau geplanten, großen, modernen Produktions­halle, gibt es „keinen Weg, der überkreuz ist. Anliefern, kühlen, salzen, Kühlraum.“ Eine architek­tonisch klar vorgegebene Produktions­kette ab der Anlieferung der Fleisch­teile im Hof.

Ins romantische Bild von altem Handwerk fügt sich diese stählern-helle hohe Halle nicht, gibt Roman Thum zu, auch wenn, was das Endprodukt betrifft, genauso gearbeitet wird wie bisher: Die burgenländischen Mangalitza­schweine sind die gleichen, die selbst­gemachten Gewürz­mischungen wird man genauso wenig durch Glutamat­ware ersetzen wie das Prinzip der händischen Ader­pökelung bei Beinschinken und Zunge durch Fleisch­kleber­basteleien. Der neue, nüchterne Standort von Thum Schinken ist ein Beispiel dafür, dass Romantisieren in der Lebens­mittel­produktion selten sinnvoll ist. Es mag verständlich sein, dass Milch­schokolade­firmen lieber Sennerinnen mit Flecht­frisur zeigen denn Rühr­kessel aus Stahl oder dass in der Tourismus­werbung reizende uralte Olivenöl­mühlen das schönere Bild ergeben – deren unerwünscht oxidiertes Öl würde aber keinen Preis gewinnen. Zurück zum Schinken: Bessere Kühl­anlagen, die sich im Sommer auch weniger plagen, ermöglichen eine längere Haltbarkeit, und eine elektrische Hebe­vorrichtung ist für die Mitarbeiter angenehmer als „das dauernde händische Heben von achtzig Kisten“. „Es ging nicht um Industriali­sierung“, sagt Roman Thum über den Orts­wechsel an die Peripherie Wiens. „Ich hätte nie einen Cent investiert, um Supermarkt­ketten zu beliefern.“ In die Triester Straße 201 fährt man wegen zehn Deka Bein­schinken vermutlich selten; das Einkaufs­verhalten seiner Kunden sei aber ohnehin kaum jemals dergestalt beschränkt gewesen, erzählt Roman Thum, „außerdem waren wir vorher auch hauptsächlich ein Produktions­betrieb mit sehr knappen Öffnungs­zeiten im Verkauf, sieben bis zwölf.“ Den über­wiegenden Teil der Abnehmer seiner Schinken, Pökelzungen oder Salsicce machen Wieder­verkäufer und Gastronomie­betriebe wie Gut Oggau oder das Steirereck aus. An Letzterem könne man auch, meint Thum, ablesen, wie sehr sich das Image von Lebensmittel­produzenten, der Stellen­wert von schlichten Erzeug­nissen wie seinem Schinken gewandelt hat: „Vor zwanzig Jahren hätte wohl das Steirereck nie einfach Schinken als Frühstück serviert.“